Chronik

Ingenieur Franz Kutschera

Nur ein kleines, unscheinbares Schild an der Außenfront eines der großen Häuser inmitten der niedersächsischen Hauptstadt gibt Auskunft über den Betrieb eines nicht alltäglichen Bürgers dieser Stadt.

Erst ein Rundgang durch die verzweigten Räume im Souterrain des Hauses gewährt dem Besucher einen Einblick in die Vielfalt der Produktionsanlagen des elektromechanischen Betriebes von Franz Kutschera. Fast erdrückend wirkt die Anzahl der versammelten stählernen Kolosse, der Drehbänke, Punktschweißgeräte, hydraulischen Pressen, der Bohr- und Schleifmaschinen. Noch verwirrender für den Laien sind die Arbeitserläuterungen, Kapazitätszahlen und die Hinweise auf die verschiedenartigen Anwendungsmöglichkeiten des Maschinenparks.

Auf meine Bemerkung, bald verstünde ich nur noch chinesisch, sagt Herr Kutschera ganz gelassen: "Das ist nicht schlimm, schlimmer wäre es, wenn die Welt nur aus Technikern bestehen würde!" Die Welt von Franz Kutschera aber beginnt und endet mit Zahlen, Formeln und Begriffen aus dem Riesenbereich der Technik. Diesen Eindruck hat sicherlich jeder seiner Gesprächspartner bereits nach wenigen Minuten der Unterhaltung.

Dieser Eindruck verstärkt sich noch, wenn Franz Kutschera die Schalttafeln der Aggregate betätigt. Das Getöse und das Rattern der Maschinen scheint Musik zu sein für seine Ohren. Der ansonsten nüchtern und bescheiden wirkende, knapp und präzis formulierende große hagere Mann vermag in diesem Augenblick ein stolzes, zufriedenes Lächeln nicht zu verbergen.

Bei den Produkten handelt es sich um Prüf- und Fertigungseinrichtungen, Steuerungsanlagen, Messapparaturen. Überwiegend um Neuentwicklungen, deren Fertigung nach Kundenzeichnungen erfolgt oder aber nach den Vorstellungen des Firmeninhabers.

Der Leitgedanke für jede seiner Konstruktionen: Wie geht es schneller, genauer, rationeller. Daß Franz Kutschera es mit Erfolg versteht technische Ideen - Phantasien konnte man fast sagen - in die Wirklichkeit umzusetzen, sei es in der Form großer Anlagen oder winziger elektronischer Bausätze, beweist nicht zuletzt die konstante Auslastung des Betriebes, sondern auch die Tatsache, daß zu seinen Stammkunden ein großer deutscher elektrotechnischer Konzern gehört.

Wenn Sie meinen, liebe Leser, dies alles sei ja ganz schön, aber schließlich doch nicht so ungewöhnlich, dann mögen Sie zunächst rechthaben. Das Ungewöhnliche an dieser Sache: Der Ingenieur Franz Kutschera, Leiter und Inhaber der Firma, ist blind.

Er hat es verstanden - nachdem er im zweiten Lebensjahr erblindete - einen Wunschtraum Wirklichkeit werden zu lassen. Den Hang zum Basteln und zur Technik mag er ererbt haben, auch sein Vater war Ingenieur. Den Weg jedoch musste er, wie er selbst sagt, "mit Beharrlichkeit und Durchhaltevermögen" über Blindenstudieneinrichtungen in Paderborn und Marburg allein beschreiten, um schließlich an der Technischen Hochschule in Hannover studieren zu können.

"Eigentlich sollte ich ja Jurist werden", erzählt er lächelnd, "aber schon als ich fünf Jahre alt war, stand für mich fest: ich werde Ingenieur!" Wie viel Begeisterung und Energie dazugehörten, um sich das Fachwissen anzueignen, kann wohl nur jemand ermessen, der selber einen hochqualifizierten technischen Beruf ausübt. Hierzu kommt, daß damals entsprechende Literatur in Blindenschrift praktisch nicht existiert hatte. "Ich mußte mein Pensum schaffen, wie jeder andere auch", meint er dazu. "Lediglich an den Übungen in Chemie habe ich an der TH nicht teilgenommen." Franz Kutschera ließ sich durch nichts entmutigen. Die Lust "dazuzulernen" hat ihn bis heute nicht verlassen. Dieses "Dazulernen" wie er es nennt, heißt konkret, etwas Neues auszuklügeln, es dann mit Hilfe seiner Mitarbeiter Gestalt annehmen zu lassen.

Daß er dabei auch an seine Schicksalgefährten denkt, an Möglichkeiten, technische Hilfsmittel für sie zu schaffen, hat Franz Kutschera bereits mehrfach bewiesen. So ist unter der Bezeichnung "Copytherm" ein Blindenschrift-Vervielfältigungsgerät entstanden, das seine guten Dienste nicht nur Blinden in unserem Land und in den Nachbarländern leistet. "Copytherm"-Geräte oder "Vakuumtiefziehpressen" um diese furchterregende technische Wortbildung zu gebrauchen, stehen auch in anderen europäischen und außereuropäischen Ländern. Für zwei dieser Apparate konstruierte er noch eine Zusatzeinrichtung, die es auch Taubblinden erlaubt, mit dem "Copytherm" zu arbeiten. Möglichkeiten für den Einsatz blinder Menschen bei Prüfarbeiten in der Industrie eröffnete Franz Kutschera mit seinem Vielfachmessinstrument mit digitaler Ausgabe, das Messungen von Gleich- und Wechselströmen, von verschiedenen Spannungen und Widerständen vornimmt. Das Besondere an diesem Gerät: Es zeigt Messwerte nicht durch eine entsprechende Zeigerstellung, sondern in Form einer Ziffer in Brailleschrift an.

Diese und viele weitere Erfindungen und neuartige Konstruktionen sind bisher in seinem Betrieb verwirklicht worden. Vieles andere soll noch folgen.

Diese Welt der Technik ist nicht wegzudenken für Franz Kutschera. Er identifiziert sich geradezu mit ihr. Auf meine abschließende Frage, was er, der so erfolgreiche Erfinder, Konstrukteur und Firmeninhaber, nach Jahrzehnten des Aufbaus und der Praxis wohl nun an liebsten tun würde, antwortet er ganz schlicht: "Mit der Erfahrung von heute noch mal bei Null anfangen."
Mechanikermeister Peter Müller

1977 lernte ich Herrn Franz Kutschera und seinen Betrieb kennen. Ich absolvierte damals mein Praktikum zur Fachoberschule Elektrotechnik. Nachdem ich hier nun sah, wie man mit Dreh- und Fräsmaschinen und handwerklichem Geschick technische Ideen in die Wirklichkeit umsetzen konnte, wechselte ich zur Fachrichtung Maschinenbau. Nach bestandener Fachhochschulreife und einer Lehre zum Feinmechaniker kehrte ich im Sommer 1981 wieder zur Fa. Kutschera zurück. 1986 legte ich die Meisterprüfung im Mechaniker-Handwerk ab. Nach dem plötzlichen Tod von Franz Kutschera im Dezember 1987 wurde die Firma im Oktober 1988 von mir erworben.

Treu dem Leitgedanken von Franz Kutschera: "Wie geht es schneller, genauer und rationeller" wurde der Betrieb in den letzten Jahren Maschine für Maschine modernisiert und um fünf moderne CNC Dreh- und Fräsmaschinen erweitert.

Nicht zuletzt dem Vorbild Franz Kutscheras und dem persönlichen Einsatz meiner Mitarbeiter ist es zu verdanken, daß die Fa. Kutschera auch heute noch ein modernes, leistungsfähiges kleines Unternehmen in einem Haus in der niedersächsischen Hauptstadt Hannover ist.

Da wir im laufe der letzten Jahre regelmäßig in moderne Werkzeugmaschinen investiert und unser Kundenkreis sich vergrößert hat wurde es in der Königsworther Str. einfach zu eng.

Im Sommer 1999 zogen wir daher in die Beneckeallee 30 um.

In neuer großzügiger Umgebung bleiben wir dem Leitgedanken von Franz Kutschera treu:

Wie geht es schneller, genauer und rationeller.

Wir freuen uns auf Ihren Besuch.